Das Streichholz

Meine Haut erinnert jetzt noch die feuchte Kälte des Nieselregens, der in meinem Traum unaufhörlich fiel, als ich rauchend auf dem Feld gestanden hatte. Ich erinnere mich, wie schon bald nach dem Aufwachen das Bild der beiden anderen, deren schmutzige Gesichter ich nur kurz im Schein der einen Streichholzflamme hatte sehen können, verblasste und schließlich zu einer weichen Wolke zerstob. Die Schemen der Augen, Nasen und Münder und das Bild meiner eigenen rechten Hand, die das noch glühende Streichholz hielt, blieben das einzige, was ich in mein waches Bewusstsein hinüber retten konnte. Und das Gefühl des Regens, der kalt durch meine Uniform auf die Haut sickerte.

Es war allein die alte Gewohnheit, die mich seit meinem unglücklichen letzten Arbeitstag an jedem dieser Tage vor die Tür gehen ließ. Mein Weg sollte mich wie immer durch die Stadt führen bis ich mir irgendwo eine Zeitung kaufen und mich in einem Café oder in einem Park niederlassen würde, um mich eine Weile auszuruhen bevor ich mich am frühen Nachmittag wieder auf den Rückweg zu meinem Haus machen würde.

Nach ein paar hundert Metern bemerkte ich, dass mein Körper auf ein Ereignis auf der anderen Straßenseite reagierte. Dort hatte ich auf dem Dach eines Mehrfamilienhauses aus dem Augenwinkel einen Lichtreflex wahrgenommen – eine kurze, unerwartete Spiegelung der gerade erst aufgegangenen Sonne. Ohne, dass ihnen ein bewusst gedachter Gedanke den Impuls dazu hätte geben können, spannten sich meine Muskeln und führten blitzschnell eine Reihe von unerwarteten Bewegungen aus, an deren Ende ich mich selbst geduckt hinter einem geparkten Lieferwagen wiederfand. Mein Herz schlug wie eine Zirkustrommel in der Brust und Schweiß lief mir von der Stirn in die Augen, die wie von selbst die Dächer der Häuser absuchten.

Dann verweigerte mir mein Körper endlose Minuten lang vollständig den Gehorsam. Die Tauben hatten aufgeschreckt ihre Regenrinne verlassen und sich mit ein paar schnellen Flügelschlägen in die Sicherheit eines höher gelegenen Dachgiebels zurück gezogen.

Ich sah drei Frauen, die stehen geblieben waren und nun die Köpfe schüttelten. Ich sah die Sonne am hohen, wolkenlosen Himmel. Ich sah die Tauben, wie sie sich eine nach der anderen wieder in ihrer Regenrinne versammelten. Dann erkannte ich im Rückspiegel eines geparkten Autos mein eigenes Bild. Zu meinem Erschrecken sah ich mich selbst als einen auf dem Boden hockenden Fremden, der sich einer akuten Bedrohung bewusst zu sein und in Gedanken genau die nächsten nötigen Schritte abzuwägen schien.

Erst das langsame willentliche Lösen der Spannung in jedem einzelnen Muskel ermöglichte es mir nach einer Weile, wieder aufzustehen.

Ich setzte meinen Weg fort und hielt mich dicht bei den Häuserwänden. Nur selten blieb ich stehen, meist im Schutz eines Hauseingangs oder einer Litfaßsäule, wo ich mich in alle Richtungen umsah, immer auf der Suche nach Anzeichen einer möglichen Gefahr, mit der mein Körper zu rechnen schien, ohne dass mein Verstand wissen konnte, wovon sie ausging.

Wenn ich die Straßenseite wechseln oder einen Platz überqueren musste, bemühte ich mich, es möglichst schnell und auf dem kürzesten Weg zu tun. Dabei vermied ich es, die schützende Deckung der Häuser zu verlassen. Meinem panischen Körper folgend verlor ich die Orientierung und fand mich schließlich in einen Teil der Stadt wieder, den ich zuvor noch nie betreten hatte.

In meinem Kopf tönte auf einmal wieder das unscharfe Echo der Explosion, die mich an diesem Morgen hatte erwachen lassen, und ich konnte mir nicht sagen, ob ich sie nicht genauso geträumt hatte, wie das Streichholz in meiner Hand und den Regen.

Von einem kleinen Punkt unmittelbar bei meinem Herzen breitete sich träge ein Schmerz aus, und mit dem wuchs das bisher unbekannte Verlangen nach einer Zigarette, das immer unbändiger jedes weitere Wollen in den Hintergrund treten ließ, als sei es ein von höchster Stelle gegebener Befehl.

Ich legte mich auf die Lauer wie eine sprungbereite Katze. Die ersten beiden Passanten, die nahe genug an mich heran kamen, dass ich sie hätte ansprechen können, ohne die Stimme in auffälliger Weise erheben zu müssen, blieben direkt vor mir stehen. Noch bevor ich entscheiden konnte, mit welcher Strategie ich herausfinden wollte, ob sie Zigaretten bei sich trugen, und wie ich sie dazu bringen könnte, mir eine davon zu geben, sprach mich einer der beiden an.

Hast du Feuer?“

Ich schüttelte den Kopf. Er blieb freundlich, bat mich aber, noch einmal nachzusehen. Ich suchte die umliegenden Dächer nach verdächtigen Hinweisen ab. Ich war mir sicher.

In deiner Jacke. Such noch mal in Deinen Jackentaschen.“

Die beiden waren einen Schritt näher an mich heran getreten und erst jetzt bemerkte ich, dass sie sich abwechselten, wenn sie sprachen, was dem gesagten einen Nachdruck verlieh, der mich zu beängstigen begann.

Wir glauben“

Du hast Feuer“

Du suchst ja gar nicht“

Schau noch mal nach!“

Einer der beiden reichte dem anderen ein silbernes Etui, das dieser mit einer Hand aufspringen ließ und mir präsentierte. Darin waren drei filterlose Zigaretten.

Es gibt auch eine für dich“

Ich vergrub die Hände in meinen Jackentaschen und ertastete eine Schachtel Streichhölzer. Schon bevor ich sie öffnete, wusste ich, dass sie nur ein einziges Streichholz enthalten würde. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und mit der untergehenden Sonne verschwand der Nebel aus meiner Erinnerung und gab den Blick wieder frei, auf das, was jetzt passieren würde.

Meine Augen suchten konzentriert die Dächer ab.

Ich fand mich mit zwei Männern auf einem Feld. Mit einem einzigen Streichholz zündete ich unsere Zigaretten an. Zuerst die der beiden anderen. Als ich die dritte, meine eigene, anzünden wollte, geschah alles fast gleichzeitig: Ein Lichtblitz auf dem Dach gegenüber, Mündungsfeuer und ein Knall, zwei weitere und schließlich Stille. Die Flamme brannte noch, als unsere Körper schon leblos auf dem Boden lagen.