Wie kommt das Neue in die Welt?

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Art, Science & Business« lädt das Künstlerhaus Akademie Schloss Solitude regelmäßig Wissenschaftler und Unternehmer ein, gemeinsam mit Künstlern über interdisziplinäre Themen zu diskutieren. Als Teilnehmer einer solchen Veranstaltung war Herrn M., der als Juniorchef im Unternehmen seines Vater für »Innovationen« zuständig ist, die Idee zu einem Workshop gekommen. Unter der Überschrift »Wie kommt das Neue in die Welt?« wollte er heute verschiedene Kreativitätstechniken vorstellen, die im Unternehmen angewandt werden können. Die im Haus wohnenden Stipendiaten waren eingeladen, daran teilzunehmen. Außer mir waren noch eine Bildende Künstlerin, eine Architektin, eine Literaturwissenschaftlerin und ein Kunsthistoriker dieser Einladung gefolgt. Von außerhalb waren nur drei Bosch-Mitarbeiter gekommen. Einer von ihnen gab mir seine Karte. Unter seinem Namen war seine Funktionsbezeichnung zu lesen: »Vice President Coordination Product and Market Planning«.

Herr M. benutzte den gesamten Inhalt seines Moderatorenkoffers, inklusive bunter Pappkärtchen, Filzschreiber und Flipchart, um uns die »K7«, die sieben Kreativitätswerkzeuge, näher zu bringen. Ob mit Hilfe von Brainstorming, Mind-Mapping oder Reizwortanalyse – Kreativität sei lernbar, sagte Herr M. und teilte uns in zwei Gruppen ein, in denen wir dann diese »K7« in der Praxis ausprobieren sollten. Der Bildenden Künstlerin, die »Kreativsein« als wichtigen Teil ihres Berufes betrachtet, wurde es schnell zu bunt und sie verließ die Veranstaltung schon am Vormittag. Der Kunsthistoriker weigerte sich, die – in seinen Augen albernen – Tai-Chi-ähnlichen Gruppenübungen auf dem Flur mitzumachen und auch die anderen Hausbewohner machten sich zunehmend lustig über das, was Herr M. uns bei leise eingespielter Meditationsmusik zu vermitteln versuchte. Nur die drei Boschler schrieben fleißig mit. Sie schienen so etwas nicht zum ersten Mal zu erleben. Am Schluss verteilte Herr M. noch Schreibblocks, Bleistifte und eine Broschüre zum Thema »K7« – alles mit dem Aufdruck der väterlichen Firma.

Am Abend nach dem Workshop musste ich mich vor den anderen Künstlern in der Cafeteria des Schlosses rechtfertigen:

»Warum gibst du dich denn für so einen Unsinn her? Dem ging es doch sowieso nur um die Bosch-Manager.«

»Ich wollte etwas darüber erfahren, wie solche Leute an so etwas herangehen. Ich will herausfinden, wie die ticken – für dieses Unternehmerbuch, das ich schreiben soll.«

»Was sind das denn für Leute, deine Unternehmer?«

»Zum Beispiel eine, die immer das Kaufhausunternehmen ihres Vaters übernehmen wollte, aber am Schluss nicht durfte. Oder einer, der gerne behauptet, dass er eigentlich was ganz anderes, nämlich Schauspieler, hätte werden wollen, heute aber doch das Familienunternehmen – einen Verlagskonzern – leitet.«

»Was sollst Du denn über die schreiben? Was wollen die am Ende lesen?«

Das konnte ich nicht beantworten. Ich wusste es selber nicht genau.

 

Der Text ist Teil des Buches „Sternstunden für Nachfolger“ von Klaus Fehling, Luftschiff-Verlag, ISBN 978-3-942792-02-8

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