Eine Auswahl aus Artikeln von Klaus Fehling über Theaterproduktionen in Köln
Artikel bis 12/2004 sind im Archiv
StadtRevue Köln, 2/2006:
Medea
von Hans Henny Jahnn, R: Johann Camut, Studiobühne Köln
Das Padrone-Ensemble und die Studiobühne haben mit "Medea" ein Stück von Hans Henny Jahnn ausgesucht, das bereits in den 1920ern dem Ruf des Skandalautors alle Ehre machte. Seine Hauptfigur, die rachsüchtige Kindsmörderin aus der griechischen Sage, ist eine Schwarze und König Kreon ein Rassist. Auch die Erotik zwischen Knaben kommt - typisch Jahnn - nicht zu kurz. Regie und Ausstattung bieten viel auf: Auf der laufstegartigen Bühne geht es teilweise zu wie auf dem Catwalk - und auch die Kleider erinnern mehr an eine Modenschau als an Theater. Die ausgefeilte Choreografie und die spielerischen Capoeira-Kampfübungen der übermütigen Knaben lassen einen zwar ausrufen "Toll, was die alles können!", verbinden sich aber kaum mit Jahnns sperrigem Text. Dieser ist dann doch - trotz pfiffiger Low-Tech-Effekte und (größtenteils) überzeugender schauspielerischer Bemühungen - zu lang. (kfe)
StadtRevue Köln, 10/2005:
Leiden light
Goethes "Torquato Tasso" zur Saisoneröffnung im Bauturm-Theater
Gleich bei seinem ersten Auftritt verrät der Dichter Torquato Tasso dem Bauturm-Publikum einen der möglichen Gründe für seine Überspanntheit: Er bekennt, ein Einzelkind zu sein - und ein hochbegabtes noch dazu. Kein Wunder also, dass seine Welt als Günstling am herzoglichen Hofe von Ferrara nur wenig mit dem wirklichen Leben zu tun hat. Der verwöhnte Bengel dreht sich nur um sich selbst und seine Kunst und ist ständig besorgt, die Gunst seiner Umgebung zu verlieren - doch diese ist ihm trotz seines nervigen Selbstmitleids und seiner anstrengenden Allüren wohl gesonnen.
Für Tasso aber ist sogar der Stubenarrest, zu dem ihn der Herzog wegen Unartigkeit kurzfristig verurteilt, ein Anlass, sich von der Welt verlassen und von Feinden umgeben zu fühlen - und bitter zu leiden. Goethe wußte wohl, wovon er erzählte - schließlich war er, als er "Torquato Tasso" in Weimar schrieb, selbst als Dichter in herzoglichen Diensten und galt selbst als anstrengendes Genie. Aber Goethe hatte wenigstens Geschwister.
Der Schauspieler Klaus Ebert verkörpert den paranoiden Borderliner Tasso auf der Bauturmbühne anfangs sehr überzeugend, schießt dann aber weit über das Ziel hinaus und steigert sich hinein, als spiele er die Hauptrolle in einem shakespeareschen Königsdrama. Der ansonsten farblosen Inszenierung gelingt es nicht, die entlaufene Figur wieder einzufangen. Wenn das egozentrische Genie (Tasso) am Schluss schwitzend und mit nacktem Oberkörper in Kreuzigungspose auf der Bühne steht, sind alle anderen längst auf der Strecke geblieben.
Der Weg dahin ist leicht verdaulich und in wichtigen Teilen unentschieden. Die Ausstattung aus dem Möbelhaus zeigt teilweise Italien (Bitterinofläschen), teilweise im sechzehnten Jahrhundert, teilweise heute. Der Text ist teilweise modernisiert (der Papst heißt Benedikt!), wirkt aber in Goethes großen Worten dennoch oft gewichtiger als das Bühnengeschehen, das an manchen Stellen in illustrierenden Gesten hilflos den Worten hinterher eilt.
Auch die gefälligen Musikeinspielungen (z.B. von der momentan angesagten Band Coldplay) zeigen keine Richtung, tun aber auch niemandem weh. Am Ende bleiben alle Grenzen unberührt, die Sprache schön und Goethes eigene Zweifel an der Bühnentauglichkeit seines Stoffes einmal mehr bestätigt: "Alles geschieht darin nur innerlich; ich fürchtete daher immer, es werde äußerlich nicht klar genug werden."
StadtRevue Köln, 6/2005:
Herz der Ödnis
DUKEs "Flussfahrt ins Innere" nach Joseph Conrad im Gebäude 9
Beim Basteln einer Textcollage für die Theaterbühne ist es oft wie beim Holzschnitzen: Erst durch das Entfernen aller störenden Teile wird aus dem geeigneten Material das gewünschte Ergebnis. Zur Kunst gehört auch das Weglassen. Das umfangreiche Material für ihre »Flussfahrt ins Innere« fanden Hanno Dinger und Thomas Krutmann in so unterschiedlichen Quellen wie Joseph Conrads Roman »Herz der Finsternis« oder dem Anti-Kriegsfilm »Apocalypse Now«. Daraus montierten sie eine Abenteuergeschichte mit allem, was dazu gehört. Ein einsamer Held und gescheiterter Schiffskapitän wird zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende von einer einflussreichen Handelsgesellschaft angeheuert, um einen abtrünnigen Mitarbeiter im Kongo aufzuspüren und zurückzuholen. Gemeinsam mit einem Begleiter begibt er sich auf eine Flussfahrt durch den afrikanischen Urwald, wo er neben wilden Tieren, Eingeborenen und einem ehrgeizigen britischen Forscher auch der unerträglichen Einsamkeit in sich selbst begegnet.
Das klingt nach einem spannenden Plot und scheint gut geeignet für »Act'n Roll«, wie die Gruppe ihre bislang bewährte Spielweise nennt. Doch was Dinger und Krutmann diesmal erzählen, erinnert mehr an einen trägen Walzer als an Rock'n Roll. Der knapp zweistündige Abend fließt streckenweise so zäh dahin wie die ewig gleich aussehenden Bäume am Ufer des dargestellten Urwaldflusses. Hier hätte mehr Tempo und beherzteres Weglassen den Zugang zur Handlung sehr erleichtert. In langatmigen Szenen erzählen die DUKEs die Vorgeschichte der Abenteuerreise, die natürlich hauptsächlich an der Theke stattfindet, wo sie lang und breit über die ortsüblichen Getränke (»Man gewöhnt sich daran. Es gibt ja nichts anderes.«) oder den abwechslungslosen Geschmack von Nilpferdfleisch mit Ketchup plaudern. Auch die teilweise sogar mehrfach verwendeten Pointen (z.B. über einen Menschen, dessen Name »Kurtz« ist) können die dabei aufkommende Langeweile nicht durchbrechen.
Erst wenn sie den für viele DUKE-Stücke obligatorischen Kneipentisch mit erstaunlich einfachen Mitteln zu einem Dampfschiff-Bühnenbild mit genialem Multimedia-Gimmick umbauen und die Reise wirklich beginnt, steigert sich das Tempo der Erzählung auf ein erträgliches und manchmal sogar mitreißendes Maß. Doch bis dahin ist der Faden längst verloren oder sogar gerissen. Schade drum - denkt man an die letzten, gelungenen DUKE-Produktionen.
StadtRevue Köln, 5/2005:
Macht und Sex
Unverständlich: David Greigs "Mainstream" im Theater Tiefrot
Der eigentliche Inhalt des Stücks ist schnell erzählt: Ein Unternehmens- oder Personalberater führt mit einer Talentsucherin aus der Musikindustrie ein Interview. Auf Grundlage ihrer Antworten auf seine Psychotest-Fragen wird er dann eine Beurteilung oder ein Mitarbeiterprofil für ihren Arbeitgeber erstellen. Im Verlauf dieses dreitägigen Treffens in einem Hotel am Meer vermischen sich Berufliches und Privates, professionelle Distanz und Intimität, es kommt zur teilweisen Auflösung der Rollen - was nichts daran ändert, dass am Ende trotzdem alles in die »Akte« kommt. Es liegt nahe, das mit einer solchen Geschichte im Theater eine kritische Auseinandersetzung mit allerhand Aspekten des Kapitalismus und der verbreiteten Outplacement-Mentalität in vielen Unternehmen verbunden ist. Ausserdem geht es offenbar um den bei diesem Thema ebenfalls nahe liegenden Zusammenhang zwischen Macht und Sex.
Dieser Aspekt steht in der Inszenierung des Regisseurs und Diplom-Psychologen Frithwin Wagner-Lippok über weite Strecken im Vordergrund und überlagert wie eine feuchte Altherrenphantasie die anderen vielleicht tragfähigen Teile der Geschichte. Auch darüber hinaus ist dieser Theaterabend mit einer Fülle zwar sorgfältig gearbeiteter, aber auf den ersten Blick unverständlicher Details derart zugeschüttet, dass sich bei manchem Zuschauer schnell das Gefühl der Überforderung einstellt. Man muss schon eine Weile nachdenken, wenn man dahinterkommen will, warum z.B. die Talentsucherin in einer Szene mit einem Spiegel ihr nacktes Geschlecht betrachtet, während der Personalberater im Neoprenanzug vom Tod des Papstes erzählt - oder warum die Figuren plötzlich minutenlang in (schlechtem) Englisch scheinbar unzusammenhängende Geschichten erzählen und dann das Publikum zum Kreistanz auf der Bühne animieren.
Die Requisiten, darunter ein Haufen Styroporkügelchen, ein Fernseher, Mikrofone, eine Pistole, eine Wäscheleine mit einer daran aufgehängten Fischgräte, u.s.w. erleichtern das Verständnis ebensowenig wie die immer wieder aus der Konserve eingespielten gefühlvollen Klavierklänge oder die nichtssagenden Videoprojektionen. Wer der so überfrachteten Kunst Wagner-Lippoks nicht folgen kann oder will, hat aber immerhin die Gelegenheit, zwei Schauspielern bei der präzisen Arbeit zuzusehen. Dafür ist der Abend mit fast zwei Stunden jedoch deutlich zu lang, auch wenn die beiden sich am Ende nochmal - wie zu erwarten war - ganz ausziehen.Klaus Fehling
"Mainstream" von David Greig, R: Frithwin Wagner-Lippok, Theater Tiefrot, 5.-8. Mai 2005, 20 Uhr
StadtRevue Köln, 4/2005:
- Maria tanzt
Eine Tragikomödie von Andrea Badey, R: Joseph Orr, Gloria Theater, 14.-17.4.
Zum Inhalt der Tragikomödie: Fünf Darstellerinnen, die sich bei einer
RTL-Sitcom-Serie kennengelernt haben, wollen zusammen Theater machen.
Eine von ihnen, die manchmal als Kabarettistin auftritt und auch schon
mal Brecht gespielt hat, steuert ein selbstgeschriebenes Stück und fünf
Lieder bei - und gemeinsam mit einem TV-Regisseur macht man sich an die
Arbeit. Doch dann stellt sich heraus, dass Theater eben anders
funktioniert als Privatfernsehen. Soviel zur Entstehungsgeschichte. Der
Plot von »Maria tanzt« ist ein anderer: Fünf Schwestern treffen sich
anlässlich der Beerdigung ihrer Mutter wieder. Als sie ihre
Familienvergangenheit thematisieren tun sich Abgründe auf... Das hat man
schon mal gesehen, und wahrscheinlich sogar besser. Dass der gewollte
lyrische Tiefgang der schlecht gereimten Lieder inhaltlich nichts mit der
Handlung des Stücks zu tun hat, kommt erschwerend hinzu. Da ist es
vielleicht als Motto zu verstehen, was die Autorin einer ihrer
Mitspielerinnen in den Mund drechselt: »Es gibt nichts unerotischeres als
Schauspieler auf Arbeitssuche«. Doch. (kfe)
StadtRevue Köln, 3/2005:
- Grenzgänger Eine Show über das Glück in Deutschland, eine Produktion des Fringe Ensemble, R: Frank Heuel, 9.-12., 16.-19. März, 20 Uhr.
Der Text zu diesem Stück entstand aus Interviews mit Migranten in
Deutschland. Die Figuren erzählen von ihren Hoffnungen, mit denen sie
kamen, und von den Erfahrungen, die sie dann in diesem Land gemacht
haben. Dabei versucht das Fringe-Ensemble erfreulicherweise gar nicht
erst, die Berichte in irgend eine konstruierte Handlung einzubetten,
sondern beschränkt sich auf assoziative Illustrationen des Textes. Dafür,
dass trotzdem keine Langeweile aufkommt, soll neben den Schauspielern ein
wahres Feuerwerk aus raffinierten Ausstattungsideen und technischen
Gimmicks sorgen - vom obligatorischen Regen auf der Bühne, über eine
echte Dusche, von der Decke rieselnden Sand und herumfliegende
Hühnerfedern, bis hin zu einem Hometrainer mit Überraschungseffekt. Hier
wäre weniger vielleicht mehr gewesen, denn die an sich spannenden
Aussagen der Figuren drohen manchmal im Budenzauber unterzugehen. (kfe)
StadtRevue Köln, 1/2005:
Gefilmt und gefiedert
Die Schauspielcompagnie Düsseldorf spielt »Birdy« mit massivem Videoeinsatz
In diesem Stück wird ein Videobeamer verwendet. Und dessen Lüfter macht nun mal Geräusche. Darauf wird das Publikum noch vor dem Einlass freundlich hingewiesen. Der damit verbundenen Bitte der Schauspielcompagnie, das Störgeräusch zu überhören, hätte man leicht nachkommen können, wenn nicht ausgerechnet dieses Gerät die wichtigste Rolle im Stück spielen würde.
Die Geschichte der beiden Freunde, die - jeder auf seine Weise versehrt - aus dem Vietnamkrieg zurückgekehrt sind, basiert auf einem Roman von William Wharton und wurde 1984 sehr erfolgreich mit Nicolas Cage verfilmt. In der Inszenierung von Jale Maria Gönenc sitzt Birdy, der Titelheld, stumm und in sich zurückgezogen wie ein Vogel in einer großen weißen Kiste, die das Bühnenbild dominiert. Sie ist gleichzeitig ein Vogelhaus und das Krankenzimmer des Verrückten. Für die Psychiaterin Dr. Weiss, deren Schreibtisch hinter einem groben Gespinst aus Wollfäden in der klinisch weissen Bühnenecke steht, ist Birdys Freund Al die letzte Hoffnung, ihren Patienten in die »normale« Welt zurück zu holen. Sie will herausfinden, was die Ursache für sein Verrücktwerden war. Im Gegensatz zu Birdy trägt Al seine Kriegsverletzung sichtbar als Verbrennung im Gesicht.
In aneinander gereihten Spielszenen versucht Al, sich mit Geschichten aus der gemeinsamen Jugend Zugang zum Verstand seine Freundes zu verschaffen. Der beschränkt sich jedoch die meiste Zeit darauf, entrückt an die Wand zu starren. Je tiefer Al in die Erinnerungskiste greift, desto mehr muss er sich auch mit seiner eigenen Geschichte auseinandersetzen, was aber in dieser Inszenierung eher untergeht. Die immer wieder zwischendurch auf die Kiste projizierten Videoclips, die zur Musik des Komponisten Bojan Vuletic langatmige Szenen aus der Jugendzeit der Protagonisten (sie müssen jung sein, denn sie tragen Kapuzenpullis) erzählen, stehlen zu oft dem Geschehen auf der Bühne die Show.
Gegen die Übermacht der manchmal unfreiwillig komischen Filme, der beeindruckenden Ausstattung und der dazu noch eingebauten kunstvollen Tanzszenen haben die Schauspieler auf der Bühne kaum Chancen, eine Entwicklung der Figuren zu zeigen - und wirken deshalb über lange Strecken verloren. Der Spieltext der Theaterfassung von Naomi Wallace gerät zur Nebensache. Am Schluss kommt der Abspann - als Videoprojektion.
Klaus Fehling
»Birdy« von Naomi Wallace nach einem Roman von William Wharton, R: Jale Maria Gönenc, eine Produktion der Schauspielcompagnie Düsseldorf, ARTheater, 13. - 15.1., 20.30 Uhr; weitere Termine im Forum Freies Theater (JUTA), Düsseldorf, 20. - 22.1., 20 Uhr.
- Miss Sara Sampson
von Gotthold Ephraim Lessing, R: Sebastian Schröder, Café Duddel, Zülpicher Wall 8, 12., 20., 21.1., 20 Uhr, Info: www.solana-theater.de
Im kleinen, aber gemütlichen Theater im
Hinterzimmer des Café Duddel ist die winzige Bühne dekoriert wie die
Küche einer Studenten-WG. Ein selbst gezimmertes Regal, ein Tisch, ein
Videogerät, ein altes Sofa. Hier - und nicht, wie vom Autor vor fast 250
Jahren im Nebentext seines Stücks vorgegeben, in einem »elenden
Wirtshaus« - spielt sich das Drama ab. Die Akteure sprechen zwar Lessings
Text, sehen dabei aber auf unterhaltsame Weise aus wie Langzeitstudenten.
Manchem dient sogar ein ballonseidener Trainingsanzug als Kostüm. In
dieser Umgebung und in der frischen, ideenreichen Inszenierung wird aus
Lessings bürgerlichem Trauerspiel beinahe eine Komödie. Doch
Überraschung: Die Geschichte von Mellefont, der von seiner Sara so sehr
geliebt wird, dass sie Ehre, Stand und Familie auf Spiel setzte, um seine
Frau zu werden, funktioniert auch (oder vielleicht gerade) hier sehr gut.
Falls der leichtlebige Mellefont es mit Sara ernst meint, so wird er
durch das Erscheinen seiner Ex-Geliebten Marwood einmal mehr auf die
Probe gestellt. (kfe)
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